Hohes Duenengrass biegt sich unter dem auffrischenden Wind. Sturmmoewen schweben am bleiernen Himmel. Seit gut einer Stunde spielen die Gestirne mit der zweiten Flut des Tages.
In Kalkutta ist es eine halbe Stunde nach fuenf Uhr. Vom Turm des Tata-Centers aus, kann man den gluehenden Gong im hellen Osten erblicken.
An den Waenden der Slumbehausungen um die peruanische Hauptstadt Lima zucken die Schatten vom Licht der ersten Kochfeuer. Die Sonne nimmt die Waerme des Tages mit.
Am Strand ist eine Frau zu sehen. Stille, aufrechte Gestalt. Ihr ruhiger Blick taucht in die Weite grau-blauer Farben. Im Sand, neben ihren in gruenen Turnschuhen steckenden Fuessen, steht eine verblichene, schwarze Reisetasche. Die roten Tragebaender verdecken den Schriftzug, der mit einem schwungvollen N und einem K hervor leuchtet.
Ist sie gerade angekommen? Nimmt sie eine Art von Abschied? Oder wartet sie auf eine waage Weiterreise? Wir wissen es nicht und auch der Ort ihres daseins ist unbekannt. Es bleibt das Wissen, sie an einem Ende der Welt stehen zu sehen.
Im Mittelalter liefen die Jacobspilgerer auf das Ende der Welt zu. Vier Dutzend Kilometer von Santiago de Compostella entfernt, an der Costa de Morte, liegt Cap Finisterre und das damalige westliche Ende der Welt. Mit der Entdeckung Amerikas und der damit verbundenen Kulturzestoerung, dem morden und pluendern von ueber Jahrhunderten gewachsenen Gesellschaften, wurde die Scheibe, mit den Jahren der Gewissheit, auf einen Ball gespannt. Obwohl die Enden der Welt von den dort lebenden Menschen im Bewustsein getragen wurden, galt ihre importierte Entdeckung als bluetenweisse Leistung. Ein in Sehnsucht gepflanzter Antrieb zu immer neuen abenteuerlichen Reisen und Hegemomievorstellungen.
Aber das Paradies ist kein Pfirsich mehr. Und Alice bekommt kein Visum fuer das Wunderland. In Zeiten der Moeglichkeiten fuer die damit Bevorteilten, in kurzer Zeit an allen Orten der Welt ein zu fallen, ist der Bogen laegst ueber spannt. Der Untergrund des Lebens wir ausgehoehlt. Die Hoffnung traegt zum Unglueck der Menschen bei. Mit „es wird schon alles gut gehen“ schleicht man sich am kompromisslosen Handeln vorbei. Jeder von uns findet Wege, sich der Realitaet anzupassen. Die Hoffnung drueckt uns in den klebrigen Sessel des Wegschauens zu Gunsten eigener Vorteile. Dem Klammern an Luxus und Bequemlichkeit. Manche Menschen scheinen wieder der Vorstellung einer Scheibe zu zu laufen. Da endet die Welt gerne an Straenden, Mauern, geopolitischen Machtspielen. Ein dahinter existiert nicht. Eine neue Art Terra incognita entsteht.
Der Strand ist nun leer. Der Wind staerker geworden. Moewen balancieren in der Stroemung. Schaeumende Wellen haben ihre Fussspuren verwischt. Der vielleicht letzte Engel ist der Erde entschwebt.
Seit Tage weben die Geister an den Nebeltuechern, die feucht und fast unbewegt in den Gassen haengen. Citlalicue schlendert zur morgenrunzligen Daemmerstunde ueber die Avenida Teodoro Platas, deren helle Wegeplatten von dunklem Moos gerahmt sind. Aus einem Hoftor heraus folgen ihm ein paar Huehner, fuer die sei, kaum von der Seite weichender Hund nemens Andalus, kein Interesse zeigt. Nur die Geier in den Montezuma-Zypressen werfen scheue Blicke auf die kleine Prozession. Eine rotbraun gestreifte Wollmuetze bedeckt das oelig glaenzende Haar und in Citlalicues Kopf spukt einer dieser Vulkane mit Ameisenschwaermen wie Lava, unter einem von Wolken geschnittenen Mond.
Vor ein paar Tagen waren einer Kuh Fluegel gewachsen und rasch hatten der Himmel und die nahen Berge sie zu sich gerufen. Auch heute morgen bot sich dieses Bild und seine Kraft als Heiler war nun dringlich, ja ganz auf die Loesung dieses Problemes geheftet.
Sein Blick streif die die abgewetzten Tische vor Luis Bar und bleibt an einem stehen gebliebenen, halbvollen, die ersten Sonnenfruechte fangenden Glasses haengen. Ploetzlich ist er wieder im Zimmer seiner Kindheit. In einem weiss gemauerten Haus mit kleiner, von Licht durch brochenen Mauer umgebenden Terasse. Deren Blick einer staubigen, andalusischen Strasse folgt. An der immergruene Baeume wie Spielsteine stehend warten. Und den huegeligen Laken hellen Umbras Leben einfluestern. Hinter einer verschlossenen Tuer, weil seine Mutter wegen der mittaglichen Hitze Angst um seine Gesundheit hatte. Die Flecken eines von Sonne durch brochenen Wasserglasses wanderten ueber die lehmfarbene Wand. Anfangs hielt er die damit entstehenden Toene fuer eine Taeuschung aber schon bald konnte er ihnen in einer ihm eigenen Sprache folgen.
Zum Ende des Sommers kamen drei fremde Maenner in dunkelrot gefaerbten, hoch geknoepften, Maenteln in ihr Haus. Sie fuehrten nur eine zusammen gerollte Decke und ein in weisses Leinen geschlagenes Buch mit sich. Dieses gaben sie Citlalicue und auch wenn die Schrift ihm fremd erschien, konnte er darin lesen. Konnte in seinen Gedanken eine kleine Pyramide des Wissens aufbauen. Die Maenner schliefen eine Nacht mit im Haus und am Morgen verabschiedete er sich traurigen Herzens von seiner Mutter um den Gesandten in ein neues Leben zu folgen. In das ihn, wohlwollend begleitet, ein langer Weg und ein grosses Wasser bringen sollten.
Andalus, der wegen einer vor ihnen den Weg kreuzenden Puffnatter kurz inne haelt, holt ihn aus seinem Tagtraum zurueck. Nun, er ist unterwegs zu Angelita, die mit einem schwefelgelben Lama und ihrem Harmonium ueber dem Fluss wohnt. Er wird ihr einen Kuss auf die Stirn geben, Tee kochen und die Sache mit den fliegenden Kuehen erzaehlen. Vielleicht hat sie noch einen guten Rat fuer ihn.
Weit vor der Zeit Hannibals, der im zweiten Punischen Krieg um 200 vor Chr. das noch junge roemische Reich an den Rand der Niederlage brachte, als auch zur Herrschaft von Ibn Marwan ueber das maurische Emirat im 9. Jhd, erstreckte sich eine DEHESA ueber weite Teile der westspanischen Extremadura.
Die Rede ist vom Hutewald, einer Waldheide deren Synergien zwischen Flora und Fauna fruehzeitig entdeckt und genutzt wurden. Immergruene Stein- und Korkeichen, die Duerre ertragen und ein Alter von bis zu 400 Jahren erreichen, liegen locker verteilt ueber dem von Berghuegeln gepraegten Weideland.
Sich windende Steinmauern trennen Weiden, welche traditionell gemeinschaftlich bewirtschaftet wurden und sich heute noch oft im Gemeindebesitz befinden. Die Waldweide verschafft den Kuehen, Schweinen und Schafen nahrhafte Fruechte samt Blaettern und Zweigen der jungen Baeumen. Dieser Verbiss reduziert den Jungwuchs und gibt den fruchttragenden grossen Baeumen mehr Licht. So entstanden im Lauf der Zeit lichte, fast offene, parkartige Waelder.
Nach hunderten Kilometern kasillischen Hochlandes, der fast baumlosen Iberischen Meseta, dem das Auge Balsam und Suche zugleich sind, bringt die Dehesa eine halbschattige, von breiten Kronen ueberspannte Pracht und Fuelle. Meditativ anmutende Pappelsaeulen, stellen Farbstreifen an Wasserlaeufe. Fette Agaven haengen halb ueber broeselnder Lehmmauer, wirken wie muede, erschoepfte Schwerter eines langen Sommers.
Jose Ruiz und seine anderen, meist jungen Gefaehrten der Partisanengruppe, hatten keine Chance. Schon am Vortag hatte ein Spaehtrupp der Franco-Truppen ihren Weg entdeckt. Nur wenige Wochen waren vergangen, seit die deutsche Luftwaffeneinheit Legion Condor ueber Guernica, heilige Stadt der Basken und Symbol des Unabhaengigkeitswillens, ihre Bomben warf und ueber 200 Menschen einen abscheulichen Tod fanden.
Europe fuehrt das Jahr 1937 im Kalender, der Bauhausvordenken Walter Gropius erhaelt einen Lehrstuhl in Harward, Leo Trozki nach einem langen Asylweg Aufenthalt in Mexico und der zionistische Weltkongress bekraeftigt den Anspruch auf eine Heimstaette in Palaestina.
Wuerde Jose in dieser endenten Mainacht an die Zeiten seines Lebens denken, koentte sich ein Faden entspinnen aus behueteter Kindheit in einem Dorf nahe Puerte la Reina, der Schulzeit mit erster Liebe, seiner Leidenscheft fuers Angeln am Rio Arga, seiner Freude, seinem Bemuehen am Studium der Medizin in Bilbao. Die Plaene fuer die Rueckkehr an ein kleines Krankenhaus in der Naehe seine Familie enden in den Wirren des nun herschenden Buergerkrieges.
Schlieriges Licht sickert an diesem Morgen durch die Baumwipfel eines Walder zwischen Pamplona und den schon sichtbaren, ersten Gipfeln der Pyrenaeen. Erschoepft von Marsch und Kampf schlafen die gut 20 Partisanen unter aufgespannten Zeltplanen und koennen so der Ploetzlichkeit des Angriff mit Granaten und MG-Feuer nicht entgehen.Auf die Lebend gefassten warten Verhoer, Folter, Exekution.
Den Menschen des Baskenlandes, das wie eine grosse Klammer ueber den Pyrenaeen Teile Spaniens und Frankreichrs vereint, waren der Freiheits und Autonomiewillen dem Diktator Francisco Franco ein besonderer Dorn im Auge. Brutal und unerbittlich war der Krieg bis zur Besetzung des letzten Dorfes im Gebiet zwischen Kantabrischem Meer und den Pyrenaeen.
Einige Jahre nach dem Buergerkrieg entstand die Befreiungsorganisation ETA als Widerstandsgruppe gegen Franco und kaempfte mit konsequenter Gewalt und Tod um die Wiedergewinnung der Autonomie des Baskenlandes. Bis weit ueber die 1975 zu Ende gehende Franco-Diktatur hinaus, veruebte sie schwere Bombenanschlaege auf zivile, militaerische und politische Ziele. Die zwischen nationalrevolutionaerer und marxistischer Ideologie basierende Bewegung verkuendetet 2011 das „definitive Ende ihrer Terrorgewalt“.
Heute koennen die Basken auf allen Ebenen der Gesellschaft ihre Rechte und die Entwicklung ihrer Geschichte leben. Und Euskara, ihre Sprache, ist fuer einige Forscher die Ursprache Europas. Weisst sie als heute einzige, isolierte Sprache weder indogermanische, noch uralische, wie Finnland und Ungarn noch semitische, wie Arabisch und Hebraeisch als Wurzeln auf.
Die baskische Kultur ist von einer grossen Dynamik gepraegt. Sie nimmt die sie umgebenden Aeusserungen, Stroemungen uns Stile auf, ist schoepferisch, assimiliert und exportiert ein Schaffen, das auf ihrem eigenen Vermaechtnis basiert.
Das Moor von Meppen-Dose liegt wie ein aufrecht stehender Faustkeil vor der hier stark meandernden Ems und der flatternden Grenzziehung zu Holland. An seinem oestliche Rand befinden sich, wie an einer hingeworfenen Perlenkette liegend, viele Grosssteingraeber aus der Megalithkultur.
Von Tag und Nachtgleiche begleitet steht das Zelt, von alten Stieleichen ueberspannt, nun zwischen diesen Huehnengraebern. Nah zusammen gerueckte oder aufgeschichtete Findlinge einer grossen Eiszeit, die die Patina unzaehliger Jahreszeiten und Lebensringen tragen.
Im Mittelalter der christlichen Zeitfolge sollten Bohrloecher mit Dynamit dieses Heidenwerk zerstoeren. Nebenbei brauchte es Steine fuer Strassenbau und neue sakrale Tuerme. Und siehe, erinnert es nicht an die immer wieder auftauchenden Hardliner, die im Namen monotheistischer Goetter vernichtende Urteile faellen, ausmerzen wollen, was nicht in enge geistig-religioese Vorstellungen passt. Und es sei die Frage erlaubt, ob es gut war und ist, einen animistischen Glauben an Geister, ja einer ganzen beseelten Welt, mit neuen Goettern zu ueber trumpfen?
Die naturnah entsprungenen Kraefte, Deutungen und Zwiegespraeche waren nicht dafuer gemacht, mit missionarischem Eifer in fremde Laender ein zu dringen oder samt Koppel, Feuer und Schwert anderen Voelkern Unterdrueckung nebst Krieg zu bringen.
Vor meinem geistigen Auge knien die Menschen von damals vor ihren Steingraebern nieder und schauen ehrfuerchtig, eben jenen Mond, der nun wie die “ Geburt einer Orange “ aus den Waeldern steigt und gelassen ins kosmische Firnament wandert.