Mitte Juli 2022 sollen die Waehler ueber eine neue Verfassung abstimmen. Ein Jahr zuvor hatte Kais Saied die Macht im letzten verbliebenen Hoffnungsland Nordafrikas uebernommen. Und siebzehn Monate Alleinherrschaft sind seine, denn erst im Dezember 2022 sind Parlamentswahlen angesetzt. Mit der Ernennung der 63jaehrigen Najla Bouden Romdhan zur ersten Regierungschefin der arabischen Welt, versucht Saied die Kritiker seines Putsches zu beruhigen.
Und Europa bangt um den aus seiner Sicht verheissungsvollen liberalen und demokratischen Musterstaat, der aus der Jasmin Revolution hervor gehen sollte. Fragt man die Menschen im Lande, geben sie sich eher gelassen und hoffen auf bessere Zeiten. Seit der Revolution hat das Land zehn Regierungen gebildet, liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei 30 Prozent, ist das Standbein des Tourismus durch die Pandemie geschwaecht. Die politische Klasse entfernt sich von der Bevoelkerung, waehrend der Sicherheitsapparat, laut Amnesty International, den Menschen mit Folter, Misshandlung und Willkuerlicher Verhaftung zusetzt.
Der 34 jaehrige unabhaengige Journalist Fadil Aliriza vom Nachrichtenportal „Meshkal“ sagt in einem juengst gehaltenen Interviev, dass viele Menschenrechtsaktivisten und zivilgesellschaftlichen Organisationen sehr genau beobachten, was der Praesident tut. Und durchaus sich selbst in der Lage fuehlen ihre Stimme zu erheben. Keiner will die erkaempften Freiheiten der vergangenen 10 Jahre wieder aufgeben.
Knapp 400 km suedlich des Machtzentrums, in den Palmenoasen am Rande der Sahara, hat die Dattelernte begonnen. Weisse Zentnersaecke neben abgeschlagenen, gelb leuchtenden Rispen, an denen die weltweit ueber 1000 Dattelsorten haengen. Als Hauptexporteur hinter Aegypten, haben die Wirren der letzten Jahre auch diesen Einkommenszweig geschwaecht.
Ein Augenblick des heimatlichen Weihnachttages zieht am staubigen Ortschild von Douz vorbei. Auf der Buehne hohe raschelnde Palmenkronen, wuestengegerbte heilige Koenige auf Kamelen. Nur Maria und Josef haben sich verspaetet. Probleme an der Grenze oder einen besseren Ort gefunden. Keiner weiss etwas.
Douz liegt im Fieber des Saharafestivals. Gerade startet, nach bruellend, kreischendem Erheben, der Kamelmarathon. Und legt, ueber den, in die Wueste ausufernden riesigen Platz, eine neue Schicht gelbbraunen Staubes. Der in warmen Schlieren den Westen tuencht. Das schwere MG der Nationalgarde wird vom Dach getragen, die vergitterten Busse raeumen mit aufwirbelnden Fahnen den Platz. Die Presenz des Paramilitaers hat nichts zu bedeuten, sagt Bachtiar, einer der jungen, traditionell gekleidetetn Reiter der bunt gewuerfelten Gruppe mit Warmbluetern. In 53 Jahren Festival gab es keinen Anschlag, keine Unruhen. Eher Antiterrorvorwand gegen die aus den Medien beschworene, islamistische Gefahr aus Algeriens Wuestengebieten.
Am fruehen Abend des dritten Weihnachtstages sind die internationalen Fahnen eingeholt und Douz kehrt zu einer fuer arabische Verhaeltnisse ruhigeren Gangart zurueck. Die Cafes bleiben gut besucht, Haendler warten auf Kundschaft, Musik tropft von hohen Masten. Mopedauspuff, der Staub ausfahrender Kleinbusse mischt sich mit dem Feuerrauch der fruehabendlichen Brotstaende, treibt in die Schichten eines bald Kobaltblauen Himmels. Der beste Weg zu den scharf-pikant gefuellten Broten liegt zwischen Verkehr und hohem Gehweg oder man wechselt, je nach Angebot. Parkende Mopeds, bruechige Einfassungen staubiger Baeume, temporaere Sitzgelegenheiten, Grosspackungen Waschpulver, bunte Aufsteller, Secondhand fuer Moebel und Waschmaschinen, Kieshaufen und Zementsaecke, schicke Fliesen und glitzernde Badamaturen, sich stapelnde Ersatzteile fuer rollende Vehiekel, knackige Jeanstorso, bonbonfarben verpackte Autoreifen. In der zweiten Etage schraege Kisten fuer Zwiebel, Orange und Kartoffel, kleine Tuerme mit Teepackungen, kiloweise frisch geerntetes Brot der Wueste aus staubigen Kisten oder schoen gelegten fruchtigen Aesten in Exportkartons, leuchtende Stoffballen, selbst gebaute kleine Zapfsaeulen fuer Benzin. Ueber Kopf der meist bis Mittag verkaufte Kopf eines Kameles mit blassweiss herab haengender Speiseroehre. Mit dickem Fell belassene Laeufe und frisch gehaeutete Leiber beraubten Lebens runden die Palette. Daneben Schaufenster neuer Handymodelle, goldfunkelnder, schwer wirkender Hochzeitsschmuck, eine Galerie sich lustvoll drehender Gieskannen und Wischeimer.
Letzte Strahlen warmen Lichtes wandern der weissen Kuppel eines rechteckigen, mit Doppelspitzen verzierten Gebetsraumes zu.Der auf der nordwestlichen Ecke, des mit vielen Graeber ueber zogenen Friedhofes steht. Spitz, aufrecht stehende Steine tragen die staubigen, selten bunten Tuecher der Verstorbenen. In Bechern und Schuesseln trocknet Wasser dem Himmel entgegen. Oder gibt, so erzaehlt uns Amir, den Voegeln Labsal und den Verstorbenen einen Hauch weniger Einsamkeit. Fuenf hoch gemauerte Tore mit Holz und Blechfluegel zum Eingang umfassen das schattenlose Areal. Am westlichen Mauerlauf waechst der schlank gehaltene Neubau des dann hoechsten Minarettes, der Deshar-Moschee, von Douz empor.