Grigori traegt leichtes Gepaeck und Besonderes. Rucksack mit Schlafmatte obenauf, in den Haenden einen grossen goldenen Rahmen, am sich woelbenden Bauch lehnt das Bild der Heiligen Nino. Sie, eine Syrerin, die aus roemischer Gefangenschaft zu Fuss nach Iberien gelangte, leitete die Bekehrung der Georgier zum Christentum ein. Als Missionarin trug sie meist ein Weinrebenkreuz bei sich, dass vom Eigenhaar zusammen gehalten wurde. Um ihr Wirken als Heilerin begannen sich bald Legenden zu ranken. So rief die kranke Gattin von Koenig Mirian, Nino zu sich. Mit dem Wunder ihrer Heilung, nahm Nana den Glauben an Jesus Christus an. Wenig spaeter verirrte sich Koenig Mirian auf der Jagd in drohender Nacht. Fast aussichtslos suchend, rief er in grosser Not Ninos Gott an und ward auf sichere Wege gelenkt. Aus Dankbarkeit und Ehrfurcht vor dem maechtigen Gott, liess er im Jahre 337 das Christentum zur Staatsreligion erklaeren und bat Kaiser Konstantin I um Entsendung von Missionaren. Nino, die die Orthodoxe Georgische Kirche den Aposteln gleichstellt, traegt den erwuerdigen Titel Erleuchterin Georgiens. Ihr Weinrebenkreuz ist ueber das ganze land verteilt und mutet wie ein gefluegeltes Kreuz an.
Als wir Grigori, nun wiederholt, an einer mit Hohlblocksteinen vermauerten alten Kirche treffen, kommen wir ins Gespraech. Er ist als Geschichtslehrer in Tbilisi taetig und hat die 50 knapp ueberschritten. Von seiner Schule aus, schaut er hinauf zur Sameba- Kirche, die wie ein in die Erde gerammter Fels, von weiten Wandelterassen umgeben ist und der Stadt eine goldene Krone aufsetzt. Im Innere ein hoher, kunstvoll ausgemalter Raum ueber dem Allerheiligsten der Ikonostase. Da scheint ein milde, fast scheu blickender Jesus, mit dem allgegenwaertigen Gregorkreuz, ueber den versammelten Juegern zu schweben. Im weitlaeufigen, ueber wenige, von Bettlern gesaeumte Stufen erreichbaren Raum wandeln die Glaeubigen. Beruehren, kuessen, halten vor den manigfach, meist leuchtenden Bildern der Heiligen inne. Entzuenden gekaufte Kerzen, lauschen Worten, dem schwebenden Gesang. Abends kratzen Frauen mit scharfer Klinge, das Tropfwachs vom hell gefliessten Boden.
Fast schaebig mutet der Ausgang durch das Tor auf die Nigoti-Ulica an und trennt Heilig von Profan. Die Haeuser der Strassen und Gassen, scheint ein Erdbeben heimgesucht zu haben. Grosse Risse, halbzerstoert, notduerftige Stuetzen aus Holz und Metall. Doch wie wir hoeren, alles ein kaum zu bremsender Verfall von schlechter Bausubstanz. Viele Ecken und Hoefe tragen den Charme <des sich eingerichtet haben>. Blassfarbene Balkone, verrostete Aussentreppen, Weinranken, aufgespannte Waesche, spielende Kinder. Eine Meile mit kleinen Laeden. Fruechte, Shoti-Baeckerei,Ikonen,Kaese,Taschen voll selbst gemachtem Joghurt, frischer Dill und Knoblauch. Hin und wieder rollt ein Berg Melonen heran.
Am Gehsteig die errichteten Kistenstaende meist alter Leute. Hier liegen Tuetchen mit Sonnenblumenkernen und Nuessen, Cigaretten, Hoelzer, Taschentuecher, Suesskram. Ein letztes Gruen umwuchertes Haus, schmale, teils weggebrochene Stufen unter bluehenden Linden. Kopfsteinpflaster, ein Kreisverkehr, unter einem Reiterdenkmal die Bruecke ueber den Mtkvari-Fluss. Andern Ufers, in sich ruhend, wie ein Gegenstueck zur felsigen Schwester, erscheint die Sioni-Kathedrale am Fusse der Altstadt. Betritt man das rechteckige, aeusserlich schlichte Haus, tauchen die Augen in Vorstufen von Dunkelheit. Nur langsam sickert die Decken -und Wandbemalung aus stumpfem Gold, Pariserblau und Wellen lichtem Meer ins warme Kerzengelb, in die ausgewogene Fuelle des Raumes.
Das spaerliche Kuppellicht legt eine Art Schleier ueber die dunklen, mit Silberbaendern verzierten, Tueren der Ikonostase. Wie kleine Kastagnetten schlagen die Schellen an den von Priestern geschwungenen Weihrauchgefaessen. Vor der hohen, offen Tuer verharren die Menschen. Wenden sich hin, bekreutzigen, verneigen sich. Zeigen Naehe und Verbundenheit ihres christlichen Glaubens
Wie auch Grigori, mit dem wir in den lichten Mittagsschatten gewechselt sind und eine Handvoll iranischer Datteln geteilt haben. Fuer die folgenden 60 Kilometer haben wie den gleichen Weg. Hin zum St. Nino Nonnenkloster in Poka. In Tsalka, wo es grosse Kuh- und Schafherden, von berittenen Reitern flankiert, aus den Bergen spuelt,will er einen Ruhetag einlegen. Derweil ziehen wir weiter und ringen mit den Hoehenmetern des 2200 Meter gelegenen Tukmashi-Pass.
In einer der ersten Serpentinen stehen die Sommerjurten von Sara und Ligur. Vier Generationen leben hier von April bis September als Halbnomaden, verarbeiten die Milch der Tiere, betreuen die ihnen ueberlassenen Herden. An zwei festgebundenen, laut bellenden Hunden vorbei werden wir zum Tee geladen. Unter einem mit farbigen Plasteplanen bespannten Metallgestell finden zwei Betten mit Decken und Kleidung , Truhe, Tisch und Hocker, eine Kuechenecke Platz. Licht faellt durch die Tuer und ein kleines Fenster auf die fest getretene Grasnarbe. An Faeden aufgehaengte Kisten dienen als Regale. Ein Solarpanel speist das abendliche Leben.
Kurz vor dem Pass streift uns ein Gewitter, dass im Blick zurueck wie ein riesiger Tintenfleck ueber dem Tsalka-See haengt. In mehren Akten spielt der Himmel mit Farben, Licht und Duesternis ueber das Bild der Landschaft hinweg. Angesichts einer kalten und feuchten Nacht, suchen wir eine feste Bleibe in Poka. Fragen im Dorf herum, wobei uns die Nonnen des Konvent die geringste Hilfe sind, Fast Nacht ist es, als uns der Ladenbesitzer Derwo, das Haus seiner verstorbenen Eltern aufschliest. Morgens darauf trocknen die klammen Traueme in gleisender Sonne. Taureiche Wiesenmatten, ein Storchenpaar nistet, Altschnee weigert sich die Berge zu verlassen.
Nach und nach sammeln die Tageshirten ihre Tiere zusammen und ziehen ins scheinbar unendliche Land von Weiden und Bergen. Als wir mit gepackten Taschen ueber die Strasse der Ausfahrt zurollen, schaut das halbe Dorf von den Grabsteinen des Friedhofes herueber. Dungplatten, zu Mauern und Pyramiden gestapelt, geben dem Fahrtwind eine wuerzige Note mit.
Nun begleiten sich Fluss und Leben, ist das meandern des hier aus dem gleichnamigen See entspringenden Paravani, wie ein zoegerlich, langsamer Abschied von Wolken streichelnden Bergen. Spater ein Canyon und der Einschnitt des Varzia-Tales. Hier kommt der Mtkvarifluss, wilder und groesser, nimmt sich den Bruder an die Seite. Erzaehlt Geschichten aus tuerkischen Landen, wo sie ihn Kura nennen und von Jahrhunderten einer in Schwindel erregenden Hoehe erbauten Felsenstadt.
Dann ein springen von Tal zu Tal, von schmalem aufschaeumenden zu breiter, sanft ansteigender Weite. Und drehen des westlichen Laufes ueber Norden auf Osten. Ein stroemen ruheloser Tage, durchwachter Naechte, der Ufer Reise Zwiegespraech. Und einfallen in Ebenen die sich nennen Shida Kartli, Kvernaki, Tslevi , gelenkt durch die Enge grosser Staedte und spaeter sich teilend, fuer Steppen mit Minaretten.
In einer von Tbilisis Gassen steht Grigori am offenen Fenster. Sein Blick ruht auf dem Bild der Felsenkirche und dabei spuert den Zeiten stiller Augenblicke, den Schritten einer Reise nach.