Licht wandert
Sandbaenke wandern
Regen wandert
Wolken und Menschen wandern
hinzu
der Strom
von Geschichten
der dem Leben
die Segel
setzt.
Mekongmilch
So lange der Mensch denken kann, fliesst der Mekong, von den ewig verschneiten Bergen des Tibetischen Hochlandes kommend, einem grossen Weltenmeere zu. Rauscht durch tiefe Taeler, teilt dichten Djungel, streift die Weiten zwischen Champassak und dem Tonle Sap See, bringt Schiffe an die Ufer praechtiger Staedte und beschenkt unzaehlige Menschen mit seinem Reichtum an Fisch und der Ernte gruener Felder.
Vor vielen Jahren trug es sich zu, das am Fusse der Kamoi-Berge, nahe dem Dorf Ban Gang Mai, ein Drachen lebte. In der schwachen Biegung des Mekong lagen verstreute Huetten und Hoefe in einem Mosaik aus Reis- und Tabakfeldern, in Reihen von Bananenstauden, Kokospalmen und Tamarindebaeumen. Das Gruen schien aus den Bergen bis ins Wasser zu fliessen und am Ufer klebten Inseln aus Schilf. Schmale Pfade fuehrten zu den Terassen der Gemuesefelder. In der Trockenzeit sank der Spiegel des Flusses und gab grosse Sandbaenke frei. Hier konnten die Kinder spielen, Wasserbueffel sich abkuehlen, Fischer ihre kleinen Boote an Land ziehen und Netze zum trocknen auslegen.
Die Menschen standen frueh auf und gingen ihrer Arbeit in Ruhe nach. Tauchte das diesige Licht der Mittagssonne die Baumwipfel unter Schleier, sassen die Bauern mit ihrem Essen unter kleinen Daechern auf dem Feld oder schliefen in einer Haengematte. Alle hatten zu essen und eigentlich gab es kaum einen friedlicheren Platz zum leben.
Aber der Drache warf einen boesen Schatten ueber den Ort. Wann immer es ihm gefiel, pluenderte er die Felder und stahl Fruechte von den Baeumen. Manchmal schreckte er nicht zurueck, ein paar Huehner oder einen jungen Wasserbueffel in seine Hoehle zu schleppen. Die Bewohner des Dorfes waren traurig und zornig zugleich und wussten sich keinen Rat.
Einer von ihnen war Sirid, dessen Familie am Rand des Dorfes lebte. Als Ausgleich zu seiner Arbeit auf dem Feld, ging Sirid im Fluss fischen. Aber oft fehlte ihn die Zeit dafuer, den er musste, durch den Dracher zerstoerte Zaeune und Felder, reparieren und neu anlegen. Gern ging er noch im letzten Dunkel der Nacht an das Ufer des Flusses, setzte sich auf die maechtigen Wurzeln eines Samsha-Baumes und schaute in die Stille. Eine besondere Zeit im Jahr war es, wenn in den Woche vor der grossen Regenzeit, Scharen von Silberreihern aus dem Morgennebel auftauchten und dem Flusslauf folgten. Er liebte den sich mischenden Geruch, aus Wald und Fluss steigend. Der sich wie ein Teppich unter das anbrechende Licht schob. Dabei ueberlegte er immer wieder, wie man den Dracher vertreiben Koennte.
Viele der Dorfbewohner gingen in den Tempel und banden ihre Not ins Gebet vor Buddhas Angesicht ein. Oder sassen zu Hause vor dem Ahnenaltar und erhofften sich vom Rat ihrer erfahrenen Verstorbenen eine Loesung. Eines Nachts ging durch Sirids Schlaf ein Traum. Der ehrwuerdige, verstorbene Moench Rinpoche Patachok sass am dunklen Ufer des Mekong und schoepfte mit einer kleinen Schale in eine Schuessel. Aber das Wasser war nicht Nachtschwarz oder braun-sandig wie in der Regenzeit. Es schimmerte milchig und als der Drachen am Himmel erschien, versank sein dunkler, maechtiger Schatten in des Fluten.
Als Sirid erwachte, schien eine Loesung geboren. Er wartete auf die naechste Vollmondnacht und liess sich im Boot bis in die Mitte des Flusses treiben. Hier lag ein besonders helles Licht auf den sich kreuselnden Wellen. Er schoepfte es in seine mitgefuehrte Trinkflasche. Dann fuhr er ans Ufer zurueck und schlich im Schutz der letzten Nachtstunde zum Eingang der Drachenhoehle. Dort gab er den Inhalt der Flasche in eine grosse Schale und als er sich auf den Rueckweg begab, lag ein leuchtender Mond vor den bedrohlich aufragenden Felszacken der Hoehle.
Seit dieser Nacht blieb das Dorf von den Raubzuegen des Drachen verschont und keiner musste mehr um die Fruechte seiner Arbeit bangen. Sein Geheimnis behielt Sirid fuer sich. Erst spaeter band er es in die lebendigen Geschichten fuer seine Enkelkinder ein.