In den Zeiten

 

 

Er war wie ein Freund. Zuwewand leuchtende Augen. Bescheiden dankbarer Blick inmitten von Verehrung und Prunk. Schlichtes Gewand über aufrechtem Gang. Ein rotes Kreuz scheint ihm ins Haar geflochten.

Den Jesus Georgiens ließen wir zurück und fanden ein vertrautes und doch weniger zugängliches Schmerzensbild. Nägel im Kreuz. Verlöschender Blick unter wallendem Haar. Getrockneter Lebenssaft. Vielleicht sind einige unserer Brüder und Schwestern deshalb so nah ans Leiden gebaut. Auch ein heißer Sommer geht vorbei, der in anderen Regionen mit Hunderten Sonnen mehr und über Monate hinweg vom Himmel fällt. Vielleicht sollten wir die Zeichen achten, die Zutaten unseres Lebens nicht als Selbstverständlichkeit schöpfen. Identität und das Sein beftagen.

 

 

Auf die ukrainischen Linden- und Birkenufer, die Walnussalleen folgt eine stille, fast acharische Hügellandschaft. Moldawische Dörfer mit teils vernagelten Häusern und rostigen Ketten an erfrischenden Ziehbrunnen. Staubfahnen kleben an Schotterstrassen, goldene Kränze begleiten den glühenden Zenit, ein schwacher Brandgeruch liegt über angeschwärzten Weizenstoppeln. Nachmittage lehnen an schiefen Zäunen, Felder verlaufen sich im Himmel. Und Sprachen mischen sich im Zankapfel zwischen Rumänien und Russland.

 

 

Erst seit 1989 dürfen die viereinhalb Millionen Einwohner ihre rumänische Muttersprache wieder in lateinischen statt in kyrillischen Buchstaben schreiben. Die Autorin und Dramaturgin Nicoleta Esinencu, Jahrgang 1978, bezeichnet sich ironisch als „Enkelin Lenins“. Nicoleta Esinencu:

„Die Moldawier wissen nicht recht, welcher Nation sie angehören, die Geschichte verlief recht bizarr. Deshalb handelt es sich wirklich um eine Identitätskrise. Die Leute wissen nicht, ob sie Moldauer, Rumänen, Russen oder sonst was sind. Sie stellen sich diese Frage oft, vielleicht zu oft.“

 

 

Vom Ende wieder

vorne erstreckt sich der Weg
wie eine Buchseite
vom einen Ende her verbrannt

ich bin gefangen in einem Ghetto und kann nur mit
bis zum Bus
danach lauf ich im Kreis
in meiner Stadt
denke an meinen Käfig
und an dich

mein Herz ist zerrissen
im Schlaf schläft der Atem ein
die Hunde reißen an meiner Lunge
und ich denke über ihre Rettung nach

wo eigentlich alles ganz einfach ist
irgendwo dort sind meine Träume eingestürzt
irgendwo riss der Faden
du kehrst dorthin zurück
wo ich nicht
über die Grenze darf
und die einzige Reaktion die
ich haben kann

ist wie gewohnt zu kotzen
wenn ich dich zum Bus begleite
vor sich den vom einen Ende her verbrannten
Weg

Moldawischer Dichter Alexandru Vakulovski Jahrgang 1976

 

 

Für uns liegt sommerliches Glück eines sich langsam abkühlenden Tages auf offenem Feld. Drumherum die schlichte, herzliche Festlichkeit sich neu begegnender Menschen. Ein geben und nehmen, ein sich erzählen. Und die Nacht spart nicht an Sternen, deren Stunden keiner zählen mag.

 

 

 

Bitterkeit

«Auf nichts / mehr wartend, werfe / ich die Mütze // ins gefrorene Kiesbett, zum / Schädel des Schafbocks, in dem / der Kiebitz nistet»

 

Nebel

Bei diesem Nebel kann man bloß
froh sein, daß man keine Flügel hat,
also

auch nicht kollidieren könnte
mit etwas, das gerade abgestellt wird im Museum

der Illusionen. Man hört zwar
Stimmen, irgendwo oben, aber man kann
nichts sehen, mit dem man

kollidieren könnte,
weil man ja keine Flügel hat.

 

21 Uhr 39 Gedicht

Wer eine Überraschung
erwartet, muß schon unter
falschem Namen auftauchen.
Die Polizei, die Göttin
der Liebe, regelt

das Gesetz der Nachfrage
und des Angebots. Das Glück
öffnet die Schenkel
wie nach einem Gebet,

im Namen des Turnschuhs,
des Benzinpreises und des
heiligen Oleanders. Daß es
in der Ewigkeit keine

Sonnenblumen gibt, keine
Öffentlichkeit, keine Hotelgeschichten,
keinen Aufschwung, keinen
Niedergang, verdüstert
die Perspektive. Deshalb

bemalen wir akribisch
mit bunten Szenen den Sarg, in dem
wir liegen werden.

 

Franz Hodjak, rumänisch geborener, deutscher Dichter, Jahrgang 1944

 

 

Im siebenbürgischen Sibiu und dem zentralrumänischen Cluj-Napoca fallen uns zwei Bücher in die Hand. Das zum Kult erklärte Erstlingswerk des alten Schreibbarden Cees Nooteboom, der die Wurzeln in Europas Kunst und Kultur auslotet und seine Fühler bis in den windgetriebenen Sand Patagoniens stellt. Der in „Philip und die anderen“ den wunderlichen Onkel Antonin Alexander sagen lässt: „Wir sind missratene Götter, wir sind geboren um Götter zu werden und zugleich um zu sterben, das ist verrückt….wir bleiben immer irgendwo stecken“. Dessen Protagonist auf der Suche nach einem traumhaften chinesischen Mädchen quer durch Europa trampt. Orte und Begegnungen werden zur Schule des Lebens. Und ab und an ein kleines Fest, die wie Blumen auf dem Roman schwimmen

 

 

Das zweite Buch ist gefüllt mit einer subtilen Sprache, einer dicht gehängten Bilderfolge. In welcher Hertha Müller, ohne Anklage, die perfiden Struckturen einer, daß Innere aushöhlenden, Diktatur aufzeigt. Wo einem der Atem stockt. Das Grün der Hoffnung im Rücken steckt.

„Die Decke liegt auf dem Dach des Wohnblocks, um das Dach stehen Pappeln. Sie sind höher als alle Dächer der Stadt, sind grünbehängt,sie tragen keine einzelnen Blätter, nur Laub. Sie rascheln nicht, sie rauschen.Das Laub steht senkrecht an den Pappeln wie die Äste, man sieht das Holz nicht. Und wo nichts mehr hinreicht, zerschneiden die Pappeln die heiße Luft. Die Pappeln sind grüne Messer“  aus Der Fuchs war damals schon der Jäger.

 

 

In einer von ungarischen und ukrainischen Einflüssen geprägten rumänischen Nordwestregion namens Maramures stehen Bleistiftspitze, ehrwürdig verwitterte Holzkirchen und fette Heuschober. Als hätte der Herrgott große Kreisel auf gelb borstigem Feld abgelegt. Die Nachfahren indischer Nomaden, heute die größte Minderheit Europas, meist diskriminiert und benachteiligt, lebt Ursprünglichkeit zwischen offenen Türen und bunter Wäsche auf dem Zaun. Eine Lebensweise, die nicht mehr ins langsam um sich greifende Schaffe-und Anhäufungsbild passt.

 

 

Als wir über die Zempiner Berge vom ungarischen ins slowakische wechseln, wird im tadjikischen Pamir eine kleine Gruppe Weitreiseradler brutal und gezielt attakiert. Tote, Verletze, Traumata. Die Hintergründe sprechen für Handlanger des IS. Wir sind bestüzt und verwirrt, angesichts solch sinnloser und abscheulicher Taten. In einer Zeit der Trauer laufen wir an Minuten vorbei, die uns beschenkten statt Unheil zu sähen.

 

 

Auf den Flügeln der Vögel die Freiheit, in den Flußpappeln gegenüber rauschen Johannes Bobrowskies Worte : “ Alles auf Hoffnung. Mehr ist nicht zu sagen „.