Gruener Schatten schiebt lichte Inseln ueber das abfallende Ufer. Gegenueber bricht die Sonne mit aller Macht in die sich wiegend, rauschende Mauer am Dnjester-Fluss. Im Ruecken bremst ein Fahrrad. Wladimir, unsere Bekanntschaft, erfolgreicher Angler von gestern Abend und gut von russischem Pop lebender Keyborder, wuenscht < Guten Morgen > und schenkt uns zwei Trockenfische. Er will fuer ein paar Stunden ins nahe Tiraspol, der Hauptstadt Transnistiens, dann zurueck auf die Datscha, wo er den Sommer ueber lebt.
Transnistien? Koennte auch eine fahrende Polkaband aus der Walachei sein. Ist aber ein Separatistenstaat, entstanden im Zerfall der Sowjetunion ab 1990. Und erst am Fenster des Geldwechslers realisieren wir, in ein bis dato unbekanntes Land zu reisen. In den Zeiten der Abspaltung machten sich sowohl in Moldavien als auch in Transnistien nationale, reaktionaere Kraefte frei. Moldavien , das alte Bessarabien, Richtung Rumaenien, auch aus sprachlichen und kulturellen Gruenden. Transnistien zu Russland, das den Freund mit billigen Gaslieferungen und verkneupftem Geldverkehr willkommen heist.
Nach einem kurzen Grenzkrieg von 1992, bei dem ueber 500 Opfer zu beklagen waren, gilt der jetzige Status als < eingefrorener Konflikt >. Zur Glueck beschraenkt sich der Machtanspruch nur auf den Bildungssektor, wo im jeweiligen Land um lateinische oder Kyrillische Schreibweise gefochten wird. Angeblich stehen russische Truppen auf Transnistischem Gebiet. Das wird verneint oder als Friedenstruppe benannt. Sicher ist nur die dem Kleinstaat eigene Verwaltung, Armee, Eisenbahn. Praesident und Transnistischen Rubel nicht zu vergessen.
Die Hauptstadt kommt modern, mit breit-sozialistischen Schneissen, ueber welche eine alte Oberleitungsbusflotte zuckelnd die Teile der Stadt verbindet. Ab und an ein gelbleuchtendes Exemplar, das sich wie ein exotisches Insekt einreiht. Auf den schachbrettartig gelegten Strassen treffen sich Marx, Liebknecht, Luxembourg, Lenin und Gagarin. Zebrastreifen halten auch schnelle Autos fuer das Fussvolk auf. Im Buchladen, der nur eine Wandkarte des Landes anbietet, haengt Praesident Krasnoselski, neben Portraits von Putin und Stalin. Draussen Schaufenster fuer Geld, Klamotten, Moebel und die wie wuchernde Gewaechse scheinenden Apotheken.
Uebers Eck die Palaeste des Volkes. Die Republik, die Kultur, die Pioniere. Daneben der Sheriff-Konzern, dem Supermaerkte, Tankstellen, eine Baugesellschaft, Teile der Informationsmedien und das Monopol im Mobilfunk gehoeren. Und es braucht wenig Fantasie um zu wissen, welcher Name ueber dem Stadiumkomplex am Rande der Stadt prangt.
Wie Ameisengewusel wirkt das Treiben auf dem Marktareal. Im Zentrum lange, gruene Brettertische mit Kisten voll frischer Ware aus Gaerten und von den nahen Feldern. Am Kwas-Stand von Irina, die ein Getraenk aus vergohrenem Roggenbrot, aus einem Kanariengelben Tankwagen, ausschenkt, bekommen wir statt des Scheines, ein Plast-Einrubel-Stueck zurueck.
Fast erholt geht der Tag in seine letzte Runde und die Uferpromenade des Dnjester lockt. Auf kleinen Ausflugdampfern laeuft zu Bier, Limo und Snacks eine Mischung aus Russenpop und 17 Hippis. Angler kennen ihre guten Plaetze. Uns sonst: Tauben fuettern, Sonnenbrille im Haar, Hundeleine, pinke Rastas, gestaerkte Bluse, Thermoskanne, bunte Roller, Balladengitarre, Enkelstolz. In Sichtweite der gut besuchten Half Pipe, klettern Kinder auf ein Panzerdenkmal. Irgendwan ist der letzte Kwas getrunken und ein Blassgelb gestreifter Rollladen faellt schaeppernd ins Schloss.
Vor dem Parlament wehen zwei Fahnen in trauter Hoehe und Lenin hat seinen Mantel wie einen Fluegel in den Abendwind gehaengt. Die Nacht ist bereit, die Welt dreht eine neue Runde…..