Quo vadis ?

Der Blick von Norden auf die Kette des Treboursouk-Gebirge. Imponierend ein Nahe der algerischen Grenze gelegenes Felsplateau, dass einer Drachenburg gleicht. Und die Medina von El Kef, von der Sonne, wie ein Schwalbennest an die abfallende Seite genagelt. Von den letzten Haeusern der Stadt her, zieht eine immer hoeher und schroffer werdende zerklueftete Wand einen Kilometer langen Kreis. Umschliesst fruehlingswallende fruchtbare Felder, lockere Pinienhaine, Dorfflecken, verstreute Hoefe und Quellen.

Weiter gen Norden schlaengelt sich die einsame Strasse nach Touiref ueber huegelige kleine Bergruecken. Ueberquert das truebe Staubecken des Mellegue-Fluss und macht den Kopf frei fuer Gedankenwege, fuer die Fetzen aufgelesener Geschichte auf dieser Reise. Iberi, Hispania, Hannibal, Provinz Africa, Byzanz und das Spektrum der Ostkirchen…

Und dann, nach einer an tschechische Bahnuebergaenge der 80er Jahre erinnernden Querung, lehnt das Rad an 2000 Jahren Geschichte. Die fest geschotterte Strasse ueber den Medjerda-Fluss gibt nach einer Steigung, einen weiten Talblick und Gemaeuer antiker Zeiten preis. Nach der Eroberung Karthagos setzte das Roemische Imperium rasch seine Posten in erobertes punisches Gebiet. Teils prachtvolle Zivil- und Sakralbauten, Theater, Grabkammern und unterirdische Prachthaeuser zeugen von einer reichen Geschichte des oestlichen Maghreb.

Grosses klappern ueber der Landstrasse und die riesigen Nester der villeicht aus Andalusien herueber gezogenen Stoerche scheinen im milchigen Licht zu schweben. Lada Niva und Logan bereichern das sonst von Peugeot und Toyota dominierte Aufkommen. Die kleinen Tuerme aufgebauter Benzinkanister versprechen einen kleinen Gewinn zum Tranfer aus Algerien. Vor Bou Salem, wo eine Staubwolke den Wochenmarkt ankuendigt, werden aus aufgebrochener, fetter Erde die ersten Kartoffeln gehoben.

In die abendsonnigen Berge hinein kurbeln die Raeder eine Kilometer lange Steigung. Der Blick beginnt eine Zeltwiese zu finden. Da erscheint hinter einer Mauer Habib. Holt vom Hang zwei Kuehe und laed fuer die Nacht in sein Haus. Seine Frau weilt in Tunis, die Tochter Argil scheint ueber unser erscheinen wenig erfreut. Wir koennen Tee kochen, den grossartigen Terassenblick in die Nacht begleiten und sehen Teile eines TV-Filmes ueber den US begleiteten Vormarsch der Nordallianz in Afghanistan. Nach gemachter Waesche und geputzten Fussboeden, sitzen wir mit Habib vor duftenden Tellern und tunken Weissbrot in rote, dicke Kartoffel-Erbsensuppe.

Tags darauf laesst die Strecke durch das Kroumine-Bergland, mit den vielleicht groessten Korkeichenwaeldern Nordafrikas, alle Schoenheit bluehen. Aber die Afghanistanbilder haben sich in die Gedanken genistet. Wo steht dieses Land nach weiteren 20 Jahren Krieg und geopolitischer Einmischung heute? Der nicht abzuschuettelnde Hauch von Terror und Leid kriecht mit ins beschaulich und sonnig gelegene Ain Draham. Wo ich ploetzlich vom Balkon aus ein Srebrenica erblicke. Ins gruene Tal gelegte Kleinstadt. Moscheen, schmale Treppengassen, die Bergstrassen schneident. Neubauten, Schule, Marktstaende, Krankenhaus, Tankstation, die verwinkelten Viertel des Alltags. Schaue und lausche in Gesichter und abendliches Leben. Spuere eine Bedrohung, aus dem Wissen, den Bildern von brutal hinweg gerissenen Welten.