Das ist mein Land

Begegnungen sind temporaere, essentielle Ankerplaetze einer Reise. Manche bleiben oberflaechennah, verfliegen rasch. Anderen haengt ein geheimnisvolles Gewicht an, dass zu sensiblen, der inneren Stimme lauschenden Ebenen hinab zieht.

Wie an diesem aufsteigenden Abend, als eine leichte Kuehle den Strand ausserhalb von Zarzis erreicht. Stuermische Wellen haben dunkle Tangbaenke angeschwemmt, sie mit dem Wind zu weichen Stufen geformt und gepresst. Ueber die Joseph Beys vielleicht seine kreative Lust gelegt haette.

Omar sitzt auf einem weichen Huegel aus abgelegten Fischernetzen und an Platz fuer zwei mangelt es nicht. Neben an stehen improvisierte, niedrige Daecher aus Strandgut. Im huefttiefen Wasser schwappen Boote mit hochgeklappten Motoren. Wir gruessen uns und kommen ins Gespraech.

Bis zur lybischen Kueste sind es keine hundert Kilometer. Links unseres Platzes zeigt der Horizont die ersten Hotelstraende der Insel Djerba. Richtung Tripolis warten die Schlepper auf das anhaltende Geschaeft mit der Flucht aus Not und Krieg der Migrationsrouten. Aber auch von hier aus starten kleine Boote mit gestapelten Dieselkanistern gen Norden. Es gab Zeiten, da kursierte der Witz, mit mehr Tunesiern als Inselbewohnern koennte man Lampedusa auch an den Maghrebstaat abgeben.

Daneben der neue Kolonialismus. Fuer das Wohl Europas ist eine gut ausgebildete Elite sehr willkommen. Visa frei ist nur eine Richtung. Wer hier ohne Arbeit und gutem Einkommen lebt, setzt keinen legalen Schritt hinter die Festungsmauern im Norden.

Omar will sein Leben in Suedosttunesien nicht tauschen. Trotz seiner Sprachbegabung aus Stuttgarter Deutschkursen haelt ihn ein Sehnsuchtskern der arabischen Welt. Wo Verletzlichkeit auch Lebendigkeit ist, wo das Leben selten getaktet ist, eine kreative Gelassenheit ueberlebensnotwendig erscheint.

Und in Zeiten einer globalen Pandemie haette der grosse Universalgelehrte Abdallah ibn Sina nicht nur medizienische Beitraege geliefert. So auch eine Verknuepfung zu weitaus groesseren Problemen, zu neuen Denk und Handlungsansaetzen fuer diese gemeinsame Welt.

Wir schauen auf das Meer, teilen uns eine Handvoll Erdnuesse. Dann verabschiedet Omar sich fuer seinen Weg zur Moschee, seinen Weg nach Hause, seinem, inshallah, Dasaeinsglueck. Heisst auch : Es ist gut, wie es ist.

In einem, vor dem Aufbruch, in meine Haende gewanderten Buch findet sich der Satz : Erst das Reisen lehrt uns, dass es das nicht gibt, das Selbstverstaendliche.